Zehn Jahre sind vergangen und es ist, als wäre es gestern gewesen, damals am Ostermontag, den 17. April 2006. Es war nach vier Uhr nachts, als das Telefon klingelte und der Pager piepste. „Stallbrand in Salaplauna“ – Naja, dachte ich, das muss wohl der kleine Stall oberhalb der Kantonsstrasse sein, vor einem Jahr brannte ein anderer Stall, weiter unterhalb der Lukmanierstrasse. So zog meine Brandschutzbekleidung an, dachte dabei, wo der nächste Hydrant liegt, machte mir Gedanken über Wassertransport, fuhr mit dem Auto weg und unterhalb von Segnas wurde mir klar, als ich nach Disentis blickte: es ist der grosse Klosterhof! Kurz darauf bestätigte mir die Notrufzentrale in Chur den Ort.
Riesige Flammen stiegen empor und Disentis leuchtete hell im orangen Licht. Ich muss zugeben, mir wurde mulmig. Ich dachte an die mir gut bekannte Pächterfamilie, die vielen Tiere und hoffte auf meine Leute. Als ich beim Feuerwehrlokal vorbeifuhr, sah ich Licht und war erleichtert, nicht allein zu sein. Inmitten des Dorfes Disentis galoppierte mir ein Pferd entgegen, später traf ich auf eine Gruppe verstörte Kälber. Als ich kurz vor dem Schadenplatz ausstieg, hörte ich das Gebrüll der Tiere, es war schrecklich und ich kann es heute noch beschreiben. Auch unser Gemeindepräsident kam gerade an, sprach mir Mut zu und bot Hilfe an. Diese wenigen Worte beruhigten. Schnell erkundigte ich mich nach der Familie, ob das Haus leer sei, alle draussen? Nur der Pächter sei im Stall. War ja klar, dachte ich, er der tierliebende Bauer will alles retten, egal welche Gefahr auf ihn lauert. Mein erster AdF kam, musste den Pächter auffinden und ging weg.
Der Heustock stand auf der ganzen Länge in Vollbrand, vom Stall her strahlte eine enorme Hitze, die Schilder der angrenzenden Kantonsstrasse schmolzen. Dann kamen immer mehr Feuerwehrleute und als die Meldung kam, die ganze Pächterfamilie und die Tiere seien in Sicherheit, wurde es in mir ruhiger und ich konnte klarer denken, nicht zuletzt auch dank der Mithilfe meiner Kameraden. Mein Entschluss war klar: Haus halten, Rest je nach Möglichkeit ebenfalls halten. Mein Vizekommandant erhielt den Befehl, das Haus mit einem Hydroschild schützen zu lassen. Kameraden führten den Auftrag aus, als der nächste Schreck folgte: krachend und unvorhergesehen stürzte die gesamte tonnenschwere Stahlkonstruktion Richtung Haus, genau dorthin, wo das Hydroschild stehen sollte. Das Feuer war gewaltig, die Erschütterung auch. Habe ich jetzt Kameraden in den Tod geschickt? In meiner 15-jährigen Tätigkeit als Kommandant hatte ich zweimal grosse Angst um meine Kameraden, das war das erste Mal und der Schreck hat mich geprägt. Glücklicherweise tauchte aber mein Vize bald auf, heil, und teilte mir mit, das Hydroschild habe bereits seinen Dienst getan und die fallenden, brennenden Holzteile gelöscht, niemand sei zu Schaden gekommen, eventuell habe das Haus gelitten.
Was dann folgte, war fast Routine. Zwar tauchten immer wieder kleinere Probleme auf. Wir arbeiteten aber gut und alles funktionierte dementsprechend. Die Feuerwehr löschte den Brand, die Bauern sorgten zusammen mit dem Tierarzt um die Tiere. Irgendwann gegen Abend war das Feuer mehrheitlich gelöscht, wir konnten abziehen und lediglich eine Brandwache stellen. Immer wieder musste nachgelöscht werden, sogar noch eine Woche später, als Strohballen erneut Feuer fingen. Zurück blieb eine Ruine eines Landwirtschaftbetriebes, ein nun allein stehendes Bauernhaus, eine traurige, erschütterte Pächterfamilie, zwei tote Tiere (eine Kuh, die wieder in den Stahl zurückkehrte und das Pferd, das notgeschlachtet wurde) und eine Klostergemeinschaft, die nun gut überlegen musste, ob sich ein Landwirtschaftsbetrieb auf der Salaplauna noch zeitgemäss ist.
Doch Salaplauna ist wie ein Phönix. Aus der Asche erstanden steht heute ein neuer Stall mit Besuchergallerie, das Center sursilvan d’agricultura, wo regelmässig Veranstaltungen stattfinden und eine Grosskäserei, die täglich rund 25’000 m3 Milch aus der Region zu Bergkäse verarbeitet. Neues Leben und neue Arbeitsplätze sind entstanden, dank einer in die Zukunft schauenden Klostergemeinschaft und mutigen Bauern. Leider ist die damalige Pächterfamilie nicht mehr dort, doch eine neue, junge Familie ist eingezogen. Zusammen mit Angestellten bewirtschaften sie den grössten Landwirtschaftsbetrieb der Region. Jedes Jahr an Ostern denke ich an Salaplauna, an die schrecklichen Minuten, aber auch an schöne Momente, ja sogar lustige Anekdoten. Der Brand hat den Zusammenhalt in der Feuerwehr gestärkt, die Motivation gesteigert und uns gezeigt, warum wir eigentlich regelmässig üben müssen. Allen die dabei waren, muss man das wohl nie erklären müssen! Zehn Jahre sind vergangen, viele Einsätze durfte ich bewältigen, neue Erfahrungen hinzugewinnen und heute würde ich es wohl genau so machen, zwar mit neuen technischen Möglichkeiten und wohl auch ruhiger, nicht zuletzt geprägt von diesem grossen Brand vor zehn Jahren.
von Gion Tenner, Kdt