Schwere Unwetter in der Surselva

Ein Einsatzbericht von G. Tenner, Kdt FW Disentis

Bilder: Hans Huonder (Romanische Nachrichtenagentur ANR), Pirmin Monn und Christian Loretz

Sehr schwere Niederschläge während mehreren Tagen liessen bereits am Freitag, den 15. November, nichts Gutes ahnen. Die Bäche, welche normalerweise ruhig die Täler hinunterfliessen, wuchsen zu reissenden Flüssen heran. Riesige Wassermengen auf Wiesen und Halden strömten zu Tal. So war der erste Telefonanruf am Samstag Morgen um 07.17 Uhr nicht überraschend. Herr Ervin Maissen vom Bauamt Disentis fragte mich an, ob ich nicht eine Rüfe in Clavaniev ansehen können, um zu entscheiden, was zu machen sei. Wir einigten uns noch am Telefon die Pikettgruppe 1 aufzubieten.

Auf dem Schadenplatz angekommen, hatte sich die Situation in Clavaniev dramatisch verändert. Eine zweite, viel grössere Schlammlawine im Osten des Dorfes versperrte die Strasse, Schlamm und Wasser flossen Richtung Häuser. Kurz darauf trafen Feuerwehr und Polizei auf dem Schadenplatz ein. Nur wenige Minuten vergingen, bis ein zweiter Rutsch folgte. Sofort sperrten wir die Strasse und besorgten, dass die Anwohner ihre Häuser verliessen. Hinter dem Dorf Clavaniev folgte ein weiterer Erdrutsch.

Nach einer Lagebeurteilung war klar, dass die aufgeforderten Mittel nicht reichten. Wir mussten nämlich sorgen, dass das Wasser keinen Schaden anrichten konnte. Schweres Baugerät musste her. Um 07.50 Uhr wurde der Pikett 2 mit insgesamt 30 Mann aufgeboten. Die vom Kanton im August gelieferten Sandsäcke kamen zum Einsatz, doch die vorhandenen Mittel reichten bei Weitem nicht. Als ein dritter Rutsch folgte, beschlossen wir die gesamte Feuerwehr aufzubieten. Das Wasser wurde endgültig durch das Dorf Clavaniev geführt, da die Strassen im Dorf bereits zerstört waren. Durch Clavaniev tobte und floss ein richiger Bach!

In der Zwischenzeit meldete Gemeindeförster Edwin Deflorin Probleme in der Val Mala oberhalb des Klosters Disentis. Mit 5 AdF nahm er dort Sicherungsmassnahmen vor. Die Val Mala ist hinsichtlich Unwetter ein schwieriges Tal. Es bestand die Gefahr, dass dieses Bächlein, nun zum immer grösser werdenden Wildbach, das Dorf Disentis mit dem Bahnhof und das Kloster in Gefahr brachte.

Der Gemeindekrisenstab wird nach Absprache mit der Polizei einberufen, um die Evaquation des Dorfes Clavaniev und der Quartiere Latis und Caschuarz vorzubereiten. Gleichzeitig wird das Aufgebot für den Zivilschutz durch Tumaisch Desax vorbereitet, denn die Feuerwehr ist bereits voll ausgelastet.

Umleitung des Val Mala Baches durch Disentis

Wohl die spektakulärste Aktion erreichten wir in der Val Mala. Die Warnung vom Gemeindeförster hatte zur Folge, dass wir sicherheitshalber einen Lenkdamm westlich vom Klostergebäude, durch die Gassa Gronda auf die Oberalpstrasse und dann weiter auf die Lukmanierstrasse nach Raveras errichteten. Dies im Falle, dass die Kanalisation die Wassermengen nicht schlucken würde.

Noch bevor der Damm fertig war, verstopfte sich die Kanalisation im unteren Bereich oberhalb des Bahnhofes Disentis. Der Bahnhofsplatz begann sich mit Wasser zu füllen. Über die Stützmauer ergoss sich ein Wasserfall. Um den Schaden zu mindern, beschlossen wir den noch in Erstellung befindlichen Damm in “Betrieb” zu nehmen. So wurde das meiste Wasser der Val Mala durch das Dorf geleitet. Wasserschäden auf der Klosterbaustelle und im Dorfzentrum, sowie auf dem Bahnhofareal konnten so vermieden werden. Sekundärschäden sind lediglich bei einer kleinen Strasse oberhalb des Klosters durch ausgewaschenen Sand entstanden. Gebäude wurden nicht beschädigt.

Während wir mit dem Abfüllen der Sandsäcke beschäftigt waren, ging östlich des Coops um 14.00 Uhr eine neue Schlammlawine nieder. Die Oberalpstrasse wurde verschüttet, ein PW konnte sich in letzer Sekunde gerade noch retten. Bald folgte eine zweite Rüfe, sodass die Anwohner der Schulstrasse sicherheitshalber ihre Häuser verliessen. Nun arbeiteten wir an vier Stellen: in Clavaniev, in der Val Mala, im Dorf und an der Oberalpstrasse.

Ein 6-er Team der Feuerwehr musste den Hang sichern, um weitere Steinschläge zu verhindern. Inzwischen ist auch das Quartier Cons-su evaquiert.

Weitere Rüfenniedergänge werden gemeldet:

Punt Stalusa: drei Rüfen, eine davon sehr gross. Kantonsstrasse ist verschüttet, die Geleise und das Trassee der Rhätischen Bahn teilweise komplett zerstört.

Auch in Segnas zerstört eine Rüfe einen Hydranten. Die Wasserversorgung muss parziell unterbrochen werden.

In Val Peisel wird Kulturland zerstört. Rüfen folgen unterhalb Caprau, in Pardomat und Madernal.

Um 16.00 Uhr löst sich in Acletta West eine Schlammlawine unterhalb des Schutzwaldes. Steine zerstören die Haustüre und die Fenster eines Wohnhauses derart, dass sich der Keller und der erste Stock bald mit Schlamm und Wasser überflutet waren.

Während der Besprechung der Schadenlage löst sich eine zweite, grössere Rüfe und verschüttet weitere Teile der Strasse. An den übrigen Häusern entstehen kleinere Schäden. Da die Sitaution zu gefährlich ist, sperren wir das Gebiet und verschieben die Räumungsarbeiten bis auf Weiteres.

Hier drangen Bäume und Steine bis ins Wohnzimmer. Der Schlamm und das Wasser zerstörten zwei Stockwerke.

Am Sonntag konnte mit dem Auspumpen der Wohnungen und Kellerräume begonnen werden. Um zu verhindern, dass neuer Schlamm nachfloss, musste das Wasser kanalisiert werden. Nachdem das Quartier stromlos geschaltet wurde, sicherte der Zivilschutz die Stelle mit einer Wache.

Auch Disla wird im Verlauf des Abends evaquiert. Die Unterbringung der Anwohner erfolgt in der Zivilschutzanalge im Sportzentrum Disentis. Da das Fest des Skiclubs Disentis nicht stattfinden kann, stellen sich die Verantwortlichen im Dienste der Öffentlichkeit. Das vorgesehene Festessen wird den Einquartierten, dem Zivilschutz und der Feuerwehr zu Gute.

Entspannung in Sicht

Am Sonntag beginnt der Dienst der Feuerwehr um 06.00 Uhr. Die Sicherungs- und Aufräumarbeiten laufen an. In Acletta arbeiten wir praktisch den ganzen Tag in den zerstörten Häusern, um weiteren Schaden zu verhindern.

Die Val Mala hat sich beruhigt und das Wasser kann in die Kanalisation zurückgeführt werden.

In Clavaniev laufen die Vorbereitungen für die Zurückführung der Einwohner an. Um die Bewohner der Fraktionen Mumpé Medel, Cavardiras und Pardomat zu unterstützen, werden am Morgen je zwei Feuerwehrmänner eingeflogen. Langsam können die gemeindeinternen Strassen wieder geöffnet werden. Der Krisenstab wird aufgelöst. Um 20.30 Uhr ist der Einsatz der Feuerwehr beendet.

Seitens der Feuerwehr gab es keine nenneswerten Probleme. Alles verlief störungsfrei. Lediglich die Kommunikation verursachte Schwierigkeiten, da beim Rüfenniedergang in der Punt Stalusa ein Hauptkabel der Swisscom zerstört wurde.

Schlussbemerkung

Die vielen Einsätze des Jahres 2002 hatten auch ihr Gutes: die Arbeiten der Feuerwehr verliefen beide Tage ruhig und überlegen. Die Offiziere und Gruppenführer haben die Mannschaft souverän geführt. Manchmal waren die Entscheidungen sogar zu schnell aus Sicht des Krisenstabes, jedoch richtig. Man sieht, dass die Investitionen in Aus- und Weiterbildung Früchte tragen. Immerhin werden wir immer wieder geschult, Entscheidungen schnell und präzis zu treffen. Der Einsatz aller AdF war top! Als Kommandant darf ich stolz sein, eine solch motivierte Truppe mit solch gutem Personal führen zu dürfen. Spitzenleistung auf allen Ebenen!

Das alles so gut gelang, ist auch auf die Mithilfe von verschiedenen Personen zurück zu führen. Erstens ist hier Bauchef Ervin Maissen mit seiner grossen Erfahrung zu nennen. Er war mehr als nur eine rechte Hand. Auch Zivilschutzchef Tumaisch Desax mit seinen Leuten hat uns sehr geholfen. Ohne den Zivilschutz hätten wir vieles nicht so schnell erledigen können. Ein Dank geht auch an den Krisenstab mit Aldo Tuor (Gemeindepräsident), Pius Cavegn (Tiefbauamt), Edwin Delforin (Gemeindeförster), Alex Dermon (Rettungskolonne SAC) und Ervin Maissen (Bauamt).

Unterstützung erhielten wir auch von der Kapo Disentis, welche uns wo immer auch möglich half. Fast Unmögliches bewerkstelligte Feuerwehrkommandant Christian Casutt aus Ilanz. Er brachte uns die nötigen Sandsäcke, welche viel Übel abwenden konnten. Seine Rückkehr nach Ilanz wurde leider weniger lustig. Nach vielen Hindernissen konnte er kurz vor der grossen Katastrofe in Trun und Schlans seine Heimatstadt erreichen. Wir sind glücklich, dass er dort heil angekommen ist. Auch Bezirksinspektor Augustin Calivers gab sein Bestes und organisierte Sandsäcke, welche leider durch die schwere Lage nie Disentis erreichten. Hoffentlich konnten sie woanders gute Dienste leisten!

Schliesslich im Dank eingeschlossen seien auch alle, welche der Feuerwehr auf irgendeine Weise geholfen haben.