Disentis, 12. Juni 1949 (NZZ)
Schon Freitagnacht um 1 1 Uhr ertönte in Disentis Feueralarm. Man vernahm, dass ein rasch angezogener und auf die Strasse geeilter Student der Klosterschule einem in der ersten Aufregung barfuss durchs Dorf rennenden Feuerhorn-Bläser das Alarmzeichen abnahm und selbst damit weitereilte. Am Dorfausgang gegen Curaglia stand ein Stall und ein vierstöckiges Wohnhaus in Flammen. Von überallher sah man in Disentis eine mächtige Feuergarbe und eine grosse Rauchwolke in den grauen Nachthimmel steigen; Pfarrkirche und Kloster waren von einem unheimlichen Feuerschein beleuchtet. Die Feuerwehren des Klosters, der Gemeinde Disentis und der Umgebung, die nach dem Läuten aller Glocken der Pfarrkirche herbeieilten, konnten den Brand rasch eindämmen; da es glücklicherweise windstill war, konnte ein Uebergreifen auf die benachbarten Holzhäuser verhindert werden. Der Stall und der oberste Stock des steinernen Wohnhauses brannten ab; Menschenleben waren Gottseidank keine zu beklagen. Noch während eine Brandwache an dieser Brandstätte wegen der Gefahr eines neuen Aufflammens des Feuers beobachtete, wurde das Bündner Oberland von einer ungleich schwereren Brandkatastrophe heimgesucht. Am Samstagabend um 10 Uhr ertönte das unheimliche Feuerhorn wieder in der Ferne und bald auch in der Nähe. Der Muntatsch, ein Hügel oberhalb der Oberalpstrasse am Dörfausgang von Disentis, stand sogar in einem eigenartigen rötlichen Schimmer, als man um diese Zeit wegen des schon wieder hörbaren Feueralarms aus dem Fenster schaute. Etwa 10 km weit von Disentis entfernt, in Selva, war in einem Stall in der nördlichen Ecke der Häusergruppe, etwa um 10 Uhr nachts, Feuer ausgebrochen. Der rheinabwärts blasende Wind jagte das verheerende Feuer innerhalb von 20 Minuten durch den ganzen dicht zusammengebauten Weiler. Im Nu stand alles, Wohnhäuser, Kirche mit Pfarrhaus und die Ställe in hellen Flammen.